Service › Reden 2001 › Prof. Dr. Wilfried Hendricks

Eröffnungsrede zur
digita 2001-Preisverleihung

 
Wilfried Hendricks, Initiator des digita, auf der Bildungsmesse 2001 in Hannover.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir heißen Sie zur Verleihung des digita 2001 willkommen auf der Bildungsmesse im Convention Center der Deutschen Messe. 
Ich möchte Sie namens der Träger des Deutschen Bildungssoftware-Preises digita ganz herzlich begrüßen. Wir - das  sind:  die Zeitschrift "bild der wissenschaft" (Stuttgart), vertreten durch ihren Chefredakteur Wolfgang Hess, die Stiftung Lesen (Mainz), vertreten durch ihren Leiter Prof. Dr. Klaus Ring und das IBI - Institut für Bildung in der Informationsgesellschaft (Berlin), das ich leite.



 
 
Ganz besonders danken wir Frau Bundesministerin Bulmahn, dass Sie die Schirmherrschaft über den diesjährigen Wettbewerb übernommen hat. Traditionell bitten wir eine Bildungsministerin oder einen Bildungsminister, die Schirmherrschaft über den digita -Wettbewerb zu übernehmen. Wir wollen damit bekunden, dass wir den Kontakt für unumgänglich notwendig halten zwischen den Machern von Bildungssoftware und den Bildungspolitikern, durch deren Entscheidungen der Markt nicht unwesentlich beeinflusst wird.
In diesem Jahr haben wir sehr bewusst und erstmals die Bundesbildungsministerin gebeten, die Schirmherrschaft zu übernehmen. Hierfür gibt es einen sehr plausiblen Grund: Das BMBF hat mit seinen verdienstvollen Förderungsprogrammen zur Entwicklung qualitativ hochwertiger Bildungssoftware dem Markt neue Impulse gegeben. Wie wir alle wissen, hat das Bundesbildungsministerium den Fragen nach Einsatz, Nutzen und Problemen der Anwendung von Multimedia und Telekommunikation im gesamten Bildungswesen einen hohen Stellenwert beigemessen. Um die prinzipielle Übereinstimmung mit dem Kurs des BMB+F zu betonen, hatten wir Frau Bulmahn die Schirmherrschaft angetragen. Leider ist sie heute verhindert, so dass sie nicht persönlich die Preise überreichen kann.


 
 
Wir danken Ihnen, sehr geehrter Herr Ministerialdirektor Dr. Bauer, dass Sie Ihre Ministerin kompetent vertreten. Ich denke, dass Sie die Gelegenheit gern wahrnehmen, uns die generelle Ausrichtung Ihres Hauses in Fragen des elektronischen Lernens - auch im Kontext lebenslangen Lernens - darzulegen. 
Manche mögen einwenden, die vom BMB+F zur Verfügung gestellten Summen seien in Anbetracht der immensen Aufgaben in allen Sektoren des Bildungswesens eher gering bemessen. Andererseits muss man sehen, so denke ich, dass hier konzertiertes Handeln aller Partner in der Bildungswirtschaft erforderlich ist: von den zögerlichen Medienhäusern über die zurückhaltenden oder gelegentlich schwarzbrennenden Verbraucher und die zu häufig noch desinteressierten Inhaltsbereitsteller in Hochschulen und Schulen bis hin zu den Personalentwicklern in Unternehmen mit ihren teilweise ausgeprägten Vorbehalten gegen E-Learning sind alle aufgerufen, sich bei der Entfaltung des E-Learnings zu engagieren. (Ich pointiere bewusst bei der pauschalen Beschreibung von Defiziten.)

 
 
Ein Markt entsteht auch durch risikobereites Handeln. Bisweilen hat man aber den Eindruck, dass auch in dem Bildungsmarkt Unternehmer lieber unterlassen. Dieser Gedanke schien auf den ersten Blick sogar durch den diesjährigen digita -Wettbewerb bestätigt. Er findet aber doch eine interessante Aufklärung. Die Verwunderung über die geringe Zahl neuer Entwicklungen für den Vormittagsmarkt, sprich: für die Schule, hat offensichtlich in der langen Ankündigungszeit des Förderschwerpunkts "Neue Medien" des BMB+F seine natürliche Erklärung: Wer als Hersteller eine kräftige Unterstützung seiner Entwicklungsarbeiten in Aussicht nehmen kann, der wartet natürlich gern, ob sich mit der zusätzlichen Förderung nicht noch Besseres und in größerem Umfang, als ohnehin schon geplant, herstellen läßt. Das Warten hat dann aber auch leider für die Kunden zur Konsequenz, dass sie eben für eine vorübergehende Zeit am Markt nur das bereits  Vorhandene erhalten können.

 
 


Lassen Sie mich noch einen zweiten Gedanken zur Marktsituation äußern: Vielleicht ist es gar nicht das Geld, was not tut. Sicher, ohne Geld ist wenig zu bestellen. Aber vielleicht benötigen wir weniger finanzielle Ressourcen, als vielmehr Ideen, ja sogar Visionen über die Frage, in welcher Form zukünftig das immer wieder beschworene lebenslange Lernen in den einzelnen Lernorten aussehen soll! Da Bildung letztlich Privatsache ist, ist hier jederman persönlich betroffen. Wer als Unternehmer oder als Verbraucher am Bildungsmarkt auftritt, der möchte wissen, worauf er sich auf längere Sicht einzustellen hat. 

Um es hier auf den Punkt zu bringen: Es sollte ein Diskurs der Fachleute beginnen, die sich zutrauen, Modelle über ein Lernen unter Ausnutzung der neuen digitalen Medien und Werkzeuge zu entwickeln, über einen lebenslangen Lernprozess, in dem die Lernenden in unterschiedlichen Phasen ihres Lebens an verschiedenen Lernorten Station machen oder von verschiedenen Lernbegleitern Förderung und Unterstützung erfahren. Hier ist über die Gestaltung des institutionellen Lernens in Schule und Hochschule, über die Verbindung von Arbeiten und Lernen, über neue Formen des privaten Lernens, über die Verteilung der Aufgaben und Zuständigkeiten und Kosten nachzudenken usw.

 
 


Ob wir nur auf die Politik warten sollen, die für diesen Diskurs die ersten Steine bewegt? Vielleicht sind auch andere am Zug?  Wären hier nicht auch diejenigen gefordert, diesen notwendigen Diskurs zu unterstützen, die ein existenzielles Interesse am Bildungsmarkt haben? 

Also: Visionen vor Geld? Vermutlich nicht: Letzteres ist schneller zu haben; Visionen müssen erst entwickelt werden und dann auf breiten Konsens stoßen - das kann dauern. Also lassen wir uns das Pragmatische sofort tun, ohne das Notwendige zu vergessen. 

Damit bekomme ich die Kurve wieder zum digita ! Denn just diese Gedanken über die ausstehende Zukunftsdebatte hatte die Jury am Ende ihrer anstrengenden Sitzung in Berlin geführt, auch deshalb, weil mit Herrn Dr. Vogel ein Vertreter des BMB+F als Juror tätig ist.

 
 
Meine Damen und Herren, dass immer mehr Bildungssoftware zur Verfügung steht - dafür liefert diese Bildungsmesse mannigfache Belege. Hier haben viele Unternehmen vorbildliche Arbeit geleistet (über die negativen Entwicklungen wollen wir heute nicht reden). Wir finden bei den Nominierten und Siegern des digita , aber auch bei vielen anderen Teilnehmern am Wettbewerb, leistungsfähige und kreative Unternehmen, die noch mehr gute multimediale und telematische Anwendungen für den Schul- und Hochschulbereich entwickeln werden.

 
 
Meine Damen und Herren, dass immer mehr Bildungssoftware zur Verfügung steht - dafür liefert diese Bildungsmesse mannigfache Belege. Hier haben viele Unternehmen vorbildliche Arbeit geleistet (über die negativen Entwicklungen wollen wir heute nicht reden). Wir finden bei den Nominierten und Siegern des digita , aber auch bei vielen anderen Teilnehmern am Wettbewerb, leistungsfähige und kreative Unternehmen, die noch mehr gute multimediale und telematische Anwendungen für den Schul- und Hochschulbereich entwickeln werden.

 
 


Wir freuen uns, dass wir mit dem digita auf ein anhaltendes und wachsendes Interesse stoßen. Der digita erfreut sich eines beachtlichen Bekanntheitsgrades bei den Herstellern - das ist klar, werden Sie sagen, aber auch in den Medien und im Handel. Die Bekanntheit könnte bei den Käufern größer sein, wenn wir unser Logo auf mehr Covern sähen.

Nun ein wenig Statistik!
So sah die Beteiligung aus:
- Zahl der beteiligten Produkte: 100 - eine Steigerung um 15% gegenüber dem Vorjahr.
- Zahl der Nominierungen: 19 
- Zahl der Sieger: 8 - da wird sofort klar, in drei Kategorien gibt es keine Sieger

 
 


Wir werden immer wieder gefragt: Was ist digita ? Welche Intentionen verfolgt digita ? Lassen Sie mich auf diese Fragen kurz eingehen.
Digita will Qualitäts-Maßstäbe setzen, an denen sich der Markt orientieren kann. Damit setzt digita ein doppeltes Signal, und zwar 
- an die Anbieter: hochwertige Bildungssoftware zu produzieren, weil der Markt langfristig nur mit Qualität zu beeindrucken ist - oder umgekehrt (was drastischer ist): die vielen minderwertigen Proukte gefährden den Markt insgesamt 
- an die Käufer: durch bewußte Kaufentscheidungen für qualitativ überzeugende Produkte können den Herstellern Signale für Produktionsentscheidungen gegeben werden. 

Entsprechend der Marktentwicklung ist digita ein Preis, der ein breites Spektrum an Produkten erfasst: 
- alle lern- und bildungswirksamen online- oder offline-Angebote nehmen am Wettbewerb teil, ohne Beschränkung auf Zielgruppen und Lebensalter, auf Marktsegmente und Lernorte
- digita kennt keine Genrebeschränkung: Er ist offen für Hersteller von Unterrichts- über Lernprogramme bis hin zu Nachschlagewerken, offen für Edutainment und Infotainment; reine Spielprogramme indessen sind nicht Gegenstand des Preises.

 
 
Wir werden häufig gefragt: Woran kann man gute von schlechter Software unterscheiden? Kann man in wenigen Punkten sagen, was eine gute Software haben muss, damit sie einen Preis gewinnt? Die digita -Juroren müßten hierauf eine schnelle Antwort parat haben - indessen steckt die Problematik im Detail. Gleichwohl haben wir ein Set an allgemeinen Antworten parat. Ich will nun nicht die digita -Kriterienliste aufsagen, die zur Grundlage der Preisentscheidungen gemacht wird. Lassen Sie mich in wenigen Stichpunkten umreißen, worauf es uns ankommt (die Reihenfolge ist keine Rangfolge):
- Eine gelungene pädagogisch-didaktische Gestaltung eines Themas 
- Mit Blick auf die potenziellen Lerner: eine inhaltlich gute Erschließung der Thematik 
- Eine lernmethodisch gute Strukturierung (auch: ein schlüssiges Methodenkonzept)
- Eine Beachtung pädagogischer  Reformkonzepte, deren wesentliche Stichwörter u.a. sind: Lerner als Subjekt im Lernprozess, Befürwortung von Konzepten des entdeckenden und selbstbestimmten Lernens, Unterstützung beim Erwerb kommunikativer und kooperativer Kompetenz, Möglichkeit zur Differenzierung und Individualisierung im Lernprozeß
- Eine konsequente Lernerorientierung, die dem Nutzer viel Interaktionsmöglichkeiten und Handlungsspielräume bietet
- Eine integrative Verankerung von Lernspaß und Lernfreude in der Aufbereitung der Inhalte, d.h. kein Auseinanderfallen von inhaltlichen und spielerischen Elementen
- Ausschöpung der technischen Möglichkeiten von Multimedia und Telematik, d.h. ein Mehrwert gegenüber Buch, Film, Dia-Serie, Hörspiel zu demselben Thema,
- Berücksichtigung des aktuellen Standes der Softwaretechnik (inkl. Ergonomie und Design) 
- Technische Fehlerfreiheit bei Installation und Betrieb

 
 
Lassen Sie mich kurz einige Trendaussagen zum Wettbewerb in diesem Jahr geben:
- Die Entwicklung von Bildungssoftware im Kontext eines umfassenderen Handlungskonzepts und mit einem breiten Anwendungsspektrum über verschiedene Lernorte hinweg ist in diesem Jahr der Grund für den Sonderpreis gewesen. Hier gibt es ein vorzügliches Produkt auszuzeichnen. 
- Die Hersteller von Sprachsoftware profitieren von der technischen Entwicklung. Sie erkennen mehr und mehr, dass Sprache primär von Sprechen bestimmt wird und nicht von der Schriftsprache oder von dem Beherrschen abprüfbarer, formaler Regeln. Mittlerweile gibt es viele interessante Entwicklungen, die dem Spracherwerb dienen. Leider ist die Technik noch nicht ganz voll entwickelt - sie läßt sich halt noch gern "beschummeln". 
- Die Hersteller scheinen zu glauben, mit Software für den Erwerb der englischen Sprache den größten ökonomischen Erfolg einfahren zu können. Anders läßt sich nicht die Dominanz dieser Sprachsoftware erklären. Wer weiß, wie viel Englisch- Sprachprogramme es gibt? Es sind sicher über 300 - 254 können wir Ihnen nachweisen 
- Die am digita -Wettbewerb teilnehmenden Produkte aus dem Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung sind z.T. nach wie vor qualitativ weit weniger ausgereift als die Produkte aus anderen Sparten. Hier wird unseres Erachtens an der falschen Seite gespart, nämlich an der didaktischen. Die technische oder grafische Performance hat offensichtlich nach der Vorstellung der auftraggebenden Unternehmen prioritär zu sein. Da scheinen in vielen Fällen wenig ausgeprägte Vorstellungen über die Notwendigkeit eines lernerorientierten Denkens vorzuherrschen, was allerdings schwer vorstellbar erscheint, weil die Personalentwickler allerorten den Leitgedanken vom lernenden Unternehmen kultivieren. Nach wie vor ist das Lernen im Bereich der Erwachsenenbildung harte Arbeit. 
- Nach wie vor defizitär - quantitiativ und qualitativ - bleibt das gesellschaftlichen Themenspektrum. Es sind wohl nicht nur die höheren Entwicklungskosten wegen der Rechte an Bild- und Tondokumenten als Argumente vorzubringen; es spielt wohl auch eine Rolle, dass sich die Hersteller bei diesen Themen in der inhaltlichen Aufbereitung politisch unsicherer fühlen. Da kann man bei Themen aus dem sprachlichen oder mathematisch/naturwissenschaftlichen Feld wesentlich weniger falsch machen. 
- Bildung über das Internet ist immer noch Mangelware. Reine Online-Angebote von kommerziellen Anbietern findet man außerordentlich selten, partielle Angebote schon eher. Die Hersteller halten sich noch zu sehr zurück, aus einem Programm heraus didaktisch sinnvolle Verbindungen über das Internet vorzusehen. 
- Der Förderpreis geht diesmal völlig leer aus. Im nächsten Jahr wird sich das ändern. Denn wir haben mit der Intel GmbH vereinbart, dass sie digita dabei unterstützt, um den Förderpreis unter denjenigen Lehrerinnen und Lehrern auszuloben, die als Teilnehmer an den Intel-Qualifizierungsmaßnahmen in den Bundesländern die überzeugendsten Internet-Lernangebote entwickeln.

 
 
Meine Damen und Herren, nachdem ich aus der Arbeit der Jury schon skizzenhaft Ergebnisse vorgetragen haben, lassen Sie mich Ihnen die Mitglieder der Jury vorstellen: Für die Träger des Deutschen Bildungssoftware-Preises sind Professor Klaus Ring, Leiter der Stiftung Lesen, Wolfgang Hess, Chefredakteur von "bild der wissenschaft", und ich als Juror tätig. Als externe Jury-Mitglieder wirkten mit: Paul Eschbach, Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung, Nordrhein-Westfalen, Dr. Charlotta Flodell (Verbund öffentliche Bibliotheken Berlin), Wolfgang Friebe (Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung, Rheinland-Pfalz), Reiner Korbmann, ehemals Kollege von Wolfgang Hess als Chefredakteur von bild der wissenschaft und jetzt freiberuflich in München tätig, Dr. Martina Roth, die vielen von Ihnen als verantwortliche Managerin in ihrer Tätigkeit bei Intel im Bereich Education bekannt ist und Dr. Andreas Vogel vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bonn. Alle Jury-Mitglieder sind beruflich sehr eng mit unterschiedlichsten Fragen der Entwicklung oder Anwendung von Bildungssoftware in verschiedenen Sektoren des Bildungsmarktes vertraut.

 
 


Ich möchte nicht schließen, ohne von dieser Stelle aus allen zu danken, 
- die sich als Teilnehmer dem Wettbewerb gestellt haben
- die als Gutachter tätig waren
- die als Jurymitglieder um Entscheidungen gerungen haben
- die in der digita -Geschäftsstelle unermüdlich gearbeitet haben.

Nach dem digita ist bekanntlich auch immer vor demdigita : Deshalb darf ich Sie von dieser Stelle aus herzlich einladen, am Wettbewerb um den digita 2002 teilzunehmen, der im nächsten Jahr auf der Bildungsmesse in Köln verliehen wird. 
Und nun darf ich Sie, Herr Ministerialdirektor Bauer, herzlich bitten, zu uns zu sprechen.

 
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